See der Wut – Warum Coaches nicht in den Tiefen der Seele rumstochern sollten

Viele Coaches arbeiten immer noch mit tradierten Konzepten, die aus dem letzten Jahrhundert stammen und besser da auch geblieben wären.

Eines ist das Konzept von „Oberfläche und Tiefe“. Wenn ein Mensch wütend, traurig oder ärgerlich ist, dann ist das in diesem konzeptionellen Sinne eine oberflächliche Manifestation einer unbewussten tieferliegenden Dynamik.

Eine Veränderung – das ist übrigens der Grund, warum Menschen in ein Coaching kommen – ist nur dann möglich, wenn man zunächst an diesen unbewussten Tiefenprozess „rankommt“, er „bewusst gemacht“ und dann „durchgearbeitet“ wird.

Und natürlich können Kund:innen selber diese Dynamiken, Prozesse und Tiefen ihrer eigenen Psyche und Seele nicht verstehen. Hierfür bedarf es Expert:innen, die in der Lage sind, durch diese Oberflächenmanifestationen hindurch zu schauen und zu erkennen, worum es „eigentlich“ geht. Was also das „eigentliche Thema“ ist. Welche unterdrückten Gefühle, Ablehnungen, Kränkungen, Minderwertigkeitsgefühle, zurückgelassene innere Kinder, nicht gelebte Bedürfnisse oder Blockaden dafür verantwortlich sind.

Lassen sie es uns mal ein bisschen konkreter machen
Sie sind wütend. Ihre Wut ist aber nur ein reines Oberflächenphänomen. Unter ihrer Wut

ist die eigentliche tiefere Dynamik. Oder etwas metaphorischer: Sie schwimmen gerade im See der Wut. Wenn sie etwas daran ändern möchten, dann müssen sie jetzt erstmal auf den schlammigen Grund tauchen. Aber Vorsicht! Das können sie nicht allein. Dafür muss eine Expert:in dabei sein!!!!

Ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Ich persönlich mag zwar Seen sehr gerne, ich schwimme auch gerne darin, aber den morastigen Grund von Seen, vielleicht noch mit irgendwelchen Schlingpflanzen, finde ich ganz furchtbar. Damit will ich gar nicht erst in Berührung kommen.

Das Gute ist: Es ist auch überhaupt nicht notwendig.
Natürlich könnten sie, wenn sie gerade im See der Wut schwimmen, auf den Grund

tauchen und im Morast rumwühlen. Können sie machen, ist aber eigentlich scheiße. Denn damit bleiben sie möglicherweise viel länger darin, als Ihnen lieb ist. Und wahrscheinlich geht es ihnen danach auch nicht viel besser.

Sie könnten aber auch einfach aus dem See der Wut aussteigen. Geht ganz einfach. Sie könnten sich auf die „Bank der Entspannung“ setzen. Oder sich auf die „Wiese des Mitgefühls mit sich selbst oder anderen“ legen. Oder durch den „Wald des Durchatmens“ spazieren. Oder einfach mal joggen gehen, bis Sie richtig aus der Puste sind. Das wären dann schnelle und einfache Lösungen.

Aber einfache und schnelle Lösungen, z.B. sich selber zu fragen, wie Sie denn stattdessen sein möchten, was Sie anstatt Ihrer Wut lieber empfinden würden und welche Ihrer Stärken und Fähigkeiten Sie dann dabei unterstützen könnten, wären in diesem Konzept sinn- und nutzlos. Warum? Weil sie sich ja nur an der Oberfläche, auf der Ebene des Symptoms abspielen würden.

Alles nur Theorie, keine Wahrheit
Die Vorstellung von Oberfläche und Tiefe ist jedoch nur eine Theorie, eine Hypothese, also eine nicht bewiesene Annahme. Es ist ein Versuch, menschlichem Erleben und Erfahren einen Sinn zu geben und mögliche Interventionen daraus abzuleiten. Arbeitet ein Coach mit diesem Konzept, sind schnelle Veränderung nicht möglich.

Als lösungsfokussierter Kurzzeit.Coach sehe ich das jedoch komplett anders!

Ich glaube ich an die Kompetenz meiner Kund:innen. Ich sehe sie als machtvoll an, ihre Probleme selbst zu lösen und die Veränderungen zu initiieren, die sie sich erhoffen. Sie sind die alleinigen Expert:innen für ihre innere und äußere Welt.

Ich versuche keine unbewussten Dynamiken zu verstehen, genauso wie ich nicht auf die Suche nach den Ursachen des Problems gehe. Das, was die Kund:in mir sagt, ist das, womit ich arbeite. Kein darunter, darüber, daneben oder tiefer. Wir sind Menschen. Wir sind ganz. Es gibt bezogen auf unsere Psyche keine Oberfläche und keine Tiefe. Das sind alles nur Konstrukte in unseren Köpfen, die hilfreich und nützlich sein können – oder eben auch nicht.

Coaches sollten nicht auf Sightseeingtour in der Psyche ihrer Kund:innen gehen
Coaches sollten damit aufhören, sich als Expert:innen zu verstehen, die „wissen“, wie und warum ein Mensch so ist (tickt, denkt, fühlt handelt, etc.), wie er ist. Und vor allem sollten sie aufhören, auf Sightseeingtour durch die Psyche ihrer Kund:innen zu gehen. Da haben sie nämlich nichts zu suchen.

Die entscheidende Frage in einem Coaching sollte lauten: „Wo wollen Sie hin und was können Sie dafür tun, dorthin zu gelangen?“ Diese Frage ist das „eigentliche Thema“.

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