Carl Rogers‘ Kartoffelkiste

Meine Liebe zum Coaching begann mit der Personenzentrierten Gesprächstherapie nach
Carl Rogers. Und mit einer Kartoffelkiste…

Die Kartoffelkiste stand im Keller seines Elternhauses. Der war kalt und hatte nur ein
einziges, kleines, abgedunkeltes Fenster, durch das bestenfalls ein schwacher Lichtstrahl
kam. Und Carl Rogers beschrieb, wie es ihn schon als Kind beeindruckt habe, dass die
Kartoffeln trotz dieser Bedingungen zu keimen begannen: Sie trieben blasse, weiße und
dünne Sprossen – aber sie wuchsen. Und sie wuchsen immer in Richtung des wenigen
Lichts, das durchs Fenster kam. Sie würden kaum zu kraftvollen Kartoffelpflanzen werden
– aber sie keimten. Denn in ihnen gab es ein Potenzial, das nach Entfaltung,
Verwirklichung und Wachstum strebte, regelrecht schrie.

Was ich von Carl Rogers für mein „Coach-Sein“ daraus gelernt habe, ist, wie wichtig es ist,
mich immer wieder einfühlsam auf meinen Kunden einzulassen. Und zwar ausschließlich
als den Menschen, der da vor mir sitzt. Was weiß denn ich schon, in welche Richtung
sich dieser Mensch entfalten will?!

Außerdem habe ich gelernt, wie wichtig es ist, die Kundin als Person, mit all ihren
Gefühlen zu respektieren, zu würdigen und anzuerkennen. Woher soll ich denn wissen,
wohin ihr Wachstum sie eines Tages treiben wird?
Darüber hinaus habe ich gelernt, wie wichtig es ist, dabei kongruent und authentisch zu sein und mich nicht hinter einer „professionellen Coach-Rolle“ zu verstecken.

Und wieder war es der Spirit, der mich begeistert hat. Nicht Coaches wissen, was am
besten für den Kunden ist, sondern die Kundin steht im Mittelpunkt. Da gilt immer: Deren
Gefühle sind wichtiger als abstrakte Erkenntnisse, die Gegenwart ist wichtiger als die
Vergangenheit, ihr Wachstum und dessen Entwicklung sind wichtiger als das Problem.

Nach Rogers ist es hierfür notwendig, dass Kunde und Kundin zu einer gewissen Einsicht
in sich selbst kommen und sich als Person gesehen und angenommen fühlen. Das Sich-
Gesehen- und Angenommen-Fühlen finde ich dabei wie Rogers uneingeschränkt wichtig.
Aber das mit der Einsicht in sich selbst sehe ich anders: Ich glaube, dass wir Menschen
uns niemals ganz verstehen können. Unsere Gefühle sind nicht rational. Wir denken und
handeln nur in den seltensten Momenten bedacht und durchdacht.

Außerdem: Es ist bestimmt hilfreich, sehr aktiv zuzuhören, „hmm, hmm, hmm“ zu sagen
und Menschen auf diese Weise dabei zu unterstützen, ihre Gefühle auszudrücken und
anzunehmen. Veränderung hat aber immer auch etwas mit einem veränderten Verhalten
zu tun. Dieser Aspekt hat mir bei aller Wertschätzung für Carl immer gefehlt. Und
außerdem dauert mir diese Methode auch schlicht und einfach zu lang.

Haben die Kartoffeln im dunklen Keller immer schon Keime entwickelt? Oder gab es eine
Zeit, in der sie einfach nur vor sich hinvegetierten, vielleicht noch nicht mal eine Ahnung
davon hatten, was Licht alles bewirken kann?

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